1. Die
Bedeutung der Grabinschriften
In den deutschen Friedhöfen misst man den Grabinschriften eine große Bedeutung bei.
Man begnügt sich nicht mit der bloßen Angabe des Namens des Verstorbenen. Mindestens ein kurzes Sprüchlein bzw. ein kurzer Abschiedssatz: „Ruhe sanft in Frieden!”, „Hier ruhet in Frieden”, „Das ewige Licht leuchte ihm!” oder „Friede ihrer/seiner Asche!” ist auf allen Grabsteinen zu lesen.
Außerdem findet man sehr häufig einige Verse, die zu einer volksliedhaften Dichtungsgattung gehören. Sie wurden bei Zusammenkünften oft vorgetragen und man war bestrebt, darin das zum Ausdruck zu bringen, was für das Leben, für die Lebensführung (z.B.: Fleiß) bzw. für den Tod (z.B.: langer Leidensweg, lange Krankheit, plötzlicher Tod, Unfall) des Verstorbenen charakteristisch war.
Wie bereits erwähnt, erscheinen auf dem Friedhof von Werischwar ab 1923 ungarische Grabinschriften. Bis dahin gab es nur deutsche. Seit dem Zweiten Weltkrieg findet man aber fast nur ungarische Inschriften, obwohl es beachtenswert ist, dass viele alte deutsche Grabinschriften renoviert werden, um ihren alten Zustand zu bewahren. Bei vielen achtet man aber leider nicht darauf, dass unter dem Namen des Verstorbenen auch einige wertvolle Verse stehen. Falls jemand in diesem Grab später beigesetzt wurde, deckte man die Verse mit einem Marmorschild ab, worauf der Name der zuletzt Verstorbenen stand. Manche, die zwar neue Grabsteine machen lassen, lassen den Namen oder einen kurzen deutschen Spruch („Friede ihrer/seiner Asche“) wiederum deutsch in den Grabstein einmeißeln. (Siehe Anhang, Abb. 47., 56.)
Interessanterweise hat man eine gewisse Zeit lang die deutschen Grabinschriften nachgeahmt. Als der Sprachwechsel stattfand, hat man weiterhin die Merkmale der deutschen Grabsteine, die früheren Gewohnheiten beibehalten, also zu einer inhaltlichen Veränderung kam es nicht. So findet man sehr viele Grabmäler, an denen alles ganz genau so steht wie an einem deutschsprachigen Grabmal und außer den wichtigsten Angaben des Verstorbenen werden sie auch mit ungarischen Versen versehen. (Siehe Anhang, Abb. 57., 58.)
Die Schrifttafel sieht dann folgenderweise aus:
Ganz oben stand ein kurzes Sprüchlein: „Hier ruhet”, „Ruhe sanft” oder „Ruhet sanft in Frieden”.
Darunter stand der Name des Verstorbenen. Wenn da eine verheiratete Frau begraben wurde, hat man auch den Mädchennamen angegeben, z.B.: Katharina Schiller, geb. Pfeiffer. In die nächste Zeile hat man das genaue Sterbedatum geschrieben („gest. den 17. Januar 1929”) und darunter stand das Alter („alt 29 Jahre”). Auffallend ist, dass man sich oft mit Abkürzungen begnügte (geb.: geborene, gest.: gestorben, v.: von, u: und, Aug.: August, Dez.: Dezember). Der Grund dessen liegt daran, dass man auf dem Grabstein nicht so viel Platz hatte bzw. dass man nach den Buchstaben bezahlen musste.
Die Darstellung des Alters weicht von den heutigen Gewohnheiten ziemlich ab. Während früher das Sterbedatum ganz genau und das Geburtsjahr dagegen überhaupt nicht angegeben wurden, werden seit den 40er Jahren fast nur noch die beiden Jahreszahlen angeführt. Bei Kleinkindern hat man das Lebensjahr auf Monate, Wochen sogar auch auf Tage genau aufgezeichnet (z.B.: „alt 14 Tage“, „alt 3 Wochen“)
In der letzten Zeile wurden die trauernden Angehörigen aufgezählt („betrauert v. seiner Gattin u. Kindern”, „Betrauert von ihre[!] Eltern, Kind, Geschwistern und Swägerin[!]”, „Betrauert v. ihren Kindern”, „Betrauert v. seine[!] Kinder[!], Schwiegersöhne[!] und Enkeln”). Häufig kam es vor, dass man auch den Namen derer aufgezeichnet hat, die das Grabmal dem Andenken des Verstorbenen gewidmet haben („Gewidmet v. Georg Weller und Gattin”, „Gewidmet von Matthias Schäffer und seiner Gattin”). In der rechten Ecke des Grabsteins stand mit kleinen Buchstaben der Name des Steinmetzen, der den Grabstein angefertigt hat.
Unter diesen Angaben stehen die kurzen Verse zum Verstorbenen, die den Abschied persönlicher machten.
Auf dem ältesten Grabstein des Friedhofs aus dem Jahre 1778 sind diese Angaben noch in einer mundartlich gefärbten Form, nach dem Leitsatz „Schreib wie du sprichst!” mit lateinischen Buchstaben in Blockschrift zu lesen:
AL HIR
RUET SIMON
PELLER GETORREN
TEN 30 AUGUST
US 1788
Die Grabinschriften können unterschiedlicher Herkunft sein. Während meiner Sammelarbeit habe ich alle, auf dem Friedhof auffindbare deutsche Grabinschriften - oft mit unterschiedlicher technischer Hilfe - abgeschrieben. Dabei war es auffallend, daß viele einander ziemlich ähnlich sind, bzw. dass sie Varianten voneinander sind. Erst im Laufe der Interviews und der Gespräche stellte es sich zufällig heraus, dass eine Quelle zu diesen Grabinschriften vorhanden ist und viele der auf den Grabsteinen vorkommenden Grabinschriften auf diese Quelle zurückzuführen sind. Das gedruckte Büchlein mit deutschen Grabinschriften habe ich von Steinmetz Peller bekommen, der es in der staubigsten Ecke seiner Werkstatt gefunden hat. Wahrscheinlich wurde dieses Buch seit den 50er Jahren überhaupt nicht mehr benutzt.
In diesem Buch stehen mehr als 1000 deutsche Grabinschriften in gotischer Schrift. Leider fehlt der Anfang dieser Sammlung, so sind der Herausgeber und das Erscheinungsjahr nicht bekannt. Ein ähnliches Buch ist auch mit ungarischen Grabinschriften erschienen, der Titel dessen ist: „Sírvirágok. Sírfeliratok és versek. [Grabblumen. Grabinschriften und Gedichte]” Sie wurden von Ármin Rosner gesammelt und im Jahre 1920 in Budapest herausgegeben. Dieses Buch bekam ich ebenfalls von Steinmetz Peller.
Zunächst möchte ich auf die Aufteilung der deutschsprachigen Grabinschriftensammlung Bezug nehmen. Die Grabinschriften werden folgenden Kategorien zugeordnet:
-
Kurze,
allgemein gebräuchliche Grabinschriften.
-
Bibelsprüche.
-
Grabinschriften
für kleine Kinder.
-
Grabinschriften
für größere Kinder.
-
Grabinschriften
für mehrere Kinder.
-
Grabinschriften
für Jünglinge und Jungfrauen.
-
Grabinschriften
für Brüder und Schwestern.
-
Grabinschriften
für Verlobte.
-
Grabinschriften
für den Gatten.
-
Grabinschriften
für den Gatten und Vater.
-
Grabinschriften
für den Vater.
-
Grabinschriften
für die Gattin.
-
Grabinschriften
für die Gattin und Mutter.
-
Grabinschriften
für die Mutter.
-
Grabinschriften
für die Eltern.
-
Grabinschriften
für Personen hohen Alters.
-
Grabinschriften
für Freunde und Freundinnen.
-
Grabinschriften
für gefallene Krieger.
Die von mir gesammelten 60 Grabinschriften sind nach folgenden Kriterien geordnet: Alter (Kinder, Jugendliche, ältere Leute), Familienstatus (Geschwister, Ehegatte, Vater, Mutter, Eltern), Erzählperspektive (der Verstorbene spricht zu den Hinterbliebenen, die Trauernden sprechen zum Verstorbenen).
Im Buch stehen neben den Versen Zahlen, die die Buchstabenzahl zeigen. Viele Verse wurden vom Steinmetzen mit einem Kreuz versehen. Wahrscheinlich waren das die Verse, die von ihnen oft verlangt wurden. Einen Teil davon habe ich auch in meiner Sammlung wiedergefunden. Darunter gibt es viele, die wortwörtlich dem Buch entnommen wurden, in vielen wurden einige Wörter verändert oder Teile ausgelassen und vermischt, bzw. aktualisiert. Allerdings weisen sie einen kreativen Gebrauch der Vorlagen auf. Man kann fest davon ausgehen, dass die Grabinschriften auf den Grabsteinen eine Auswahl aus dem deutschsprachigen Buch widerspiegeln, die dann zitiert wurden und anschließend entstanden daraus auch die jeweiligen Varianten aus Werischwar.
Im Anhang werden die Verse, die im Buch angekreuzt sind, mit einem Stern versehen, angegeben. Höchstwahrscheinlich waren diese auf den Grabsteinen deshalb nicht zu finden, weil sie entweder schon weggetragen wurden oder die Schrift nicht mehr lesbar war, bzw. weil sie aus einer anderen Ortschaft bestellt wurden.
Die gesammelten 60 Grabinschriften bilden den Korpus der weiteren Untersuchungen.
· Hiermit möchte ich jene Verse aufzählen, die ich wortwörtlich so auf den Grabsteinen wiedergefunden habe, wie es im Buch steht:
Ruhe sanft, Du süßer
Engel!
O! Wie selig werd’ ich
sein
Bei den
lieben Engelein.
Kurz war die Freude,
Ewig währt der Schmerz;
Liebling! Dein Scheiden
Brach uns das Herz.
Wir freuten uns, Dich zu
erzieh’n,
Und sah’n Dich, ach, so
schnell verblüh’n.
Endlich hast Du
ausgelitten,
Viel beweintes teures
Kind.
Ach, Du hast zu viel
gelitten,
Weißt jetzt wo die Sel’gen
sind.
Nur eine kurze Zeit
Warst Du der Eltern
Freude.
Auf Erden warst Du kurze
Zeit,
Im Himmel hast Du
Seligkeit.
Als herzig’ Kind,
geduldig trotz der Schmerzen,
Bleibst unvergeßlich Du
in unserm Herzen.
Schlaf’, liebes Kind,
ruh’ sanft in Frieden,
Ein Trost, das Wiederseh’n, ist uns geblieben
Ein holdes Paar,
Das lieb uns war.
Ja, uns’re schönste Gabe
Schläft hier vereint im
Grabe.
Ihr Eltern liebtet mich
wohl sehr,
Gott aber liebte mich noch
mehr,
Er nahm mich in sein
Himmelreich
Und machte mich den
Engeln gleich.
Ihr lieben Eltern
tröstet Euch,
Wir sind vereint im
Himmelreich.
Gott tröst’ Euch, liebe
Eltern mein,
Ich werd’ nun bald im
Himmel sein;
Da gibt es ja ein
Wiederseh’n,
Euer Schmerz, er wird
vergeh’n!
So schlaf nun sanft, du
lieber Sohn,
Auf Wiederseh’n bei Jesu
Thron!
In der Blüte deiner
Jahre
Starbst Du, o geliebtes
Herz.
Die Eltern weinen an der
Bahre,
Und die Geschwister sind
voll Schmerz.
Leb‘ wohl, Du liebe
Schwester
Leb‘ wohl für alle Zeit
Wenn wir uns
wiederfinden
So ist es in Ewigkeit.
Unser Vater ist
geschieden
Weinend wir am Grabe
steh’n.
Ruhe hier in Gottes
Frieden,
Bis wir uns einst wiederseh’n!
Ruhe sanft, der Du so
treu gewirkt im Leben
Und Deiner Liebe Lohn
wird Gott dir geben.
Die ihr mich liebt,
Blickt hier nicht
traurig nieder,
Schaut auf zu Gott,
Dort findet Ihr mich
wieder.
Was wollt ihr Euch betrüben,
Daß ich zur Ruh
gebracht?
Seid still, Ihr, meine
Lieben,
Gott hat es wohl
gemacht!
Nicht verloren,
Nur vorangenommen.
Nicht verloren – nur
vorangegangen.
Gottes Wille ist
gescheh’n,
Unser Trost ist
wiederseh’n.
Natürlich können die Grabinschriften oft nicht in der im Buch stehenden Orthographie gelesen werden. Vor allem kommen die Satz- und Schriftzeichen zu kurz. Das kann einerseits darauf zurückgeführt werden, dass die Grabinschriften nicht mehr so richtig zu lesen waren, andererseits ist es nicht auszuschließen, dass man auf diese Zeichen aus finanziellen Gründen verzichtet hat.
Im folgenden möchte ich die Aufmerksamkeit auf jene Verse lenken, die in mehreren Varianten vorkommen. Als erste wird die Originalversion angegeben, dann die Varianten aus Werischwar.
· Geringfügige änderungen (Austausch von Wörtern, die den Inhalt nicht wesentlich verändern):
Ruhe sanft in heil‘ger
Stille; Ruhe sanft in
heil‘ger Stille;
Dein Scheiden war ja Gottes Wille. Dein Scheiden war in Gottes
Wille.
Ruhe
sanft in heil’ger Stille,
Was dir geschah ist Gottes Wille.
Da
uns’re schönste Gabe, Ihr, uns’re schönste
Gabe,
Schlaft hier vereint im
Grabe. Schlaft hier
vereint im Grabe.
Schlaf’, süßer
Liebling, ruh’ sanft in Schlaf’, liebes Kind, ruhe sanft in
Frieden, Frieden,
Ein Trost, das Wiederseh’n, ist uns Ein Trost uns wiederseh’n, ist uns
geblieben! geblieben!
O! Wie selig wirst Du sein, O! Wie selig werd’
ich sein,
Bei den
lieben Engelein. Bei
den lieben Engelein.
Ach wie rasch bist du
geschieden, Ach wie rasch bist du
geschieden,
Teurer Vater, aus der
Zeit, Teurer Vater,
aus der Zeit,
Ließest trauernd uns
hienieden, Ließest trauernd
uns hienieden,
Eilest
zu der Ewigkeit. Willest zu der Ewigkeit.
Müh‘
und Arbeit war sein Leben, Tun und Arbeit war sein Leben,
Ruhe hat ihm Gott
gegeben. Ruhe hat ihm
Gott gegeben.
Ruhe sanft, der Du so
treu Ruhe sanft, der
Du so treu
gewesen, gewirkt im Leben,
Deiner Liebe Lohn wird
Gott Und Deiner Liebe Lohn
wird Gott
dir geben. dir
geben.
Milder
Jesu schenke du Liebster Jesu schenke du
Seiner Seele die ewige
Ruh’. ihrer Seele die
ewige Ruh’.
Auslassen oder Weglassen von Zeilen (manchmal wird eine Zeile inmitten des Textes, manchmal am Ende des Textes ausgelassen):
Endlich hast Du
ausgelitten, Endlich hast
Du ausgelitten,
Vielbeweintes, teures
Kind. Vielbeweintes,
teures Kind.
Ach, Du hast zu viel
gelitten, Ach, Du hast zu
viel gelitten,
Weißt jetzt, wo die
Sel’gen sind. Weißt jetzt, wo
die Sel’gen sind.
Gingest in den Himmel ein,
Um mit Engeln Dich zu freu’n.
Zwei Kinder unter einem
Stein, Zwei Kinder unter einem Stein,
In kurzem uns genommen. In kurzem uns genommen.
Wie groß auch unser Schmerz mag sein, Sie
sind zu Gott gekommen.
Sie sind zu Gott
gekommen.
Hier ruhet unsere
Freude, Hier ruhet
unsere Freude,
Hoffnung, Stolz und Glück. Gott
er nahm sie beide,
Gott er nahm sie beide, Und gibt sie nie
zurück.
Und gibt sie nie zurück.
(Vers 14)
Gottes Wille ist
gescheh’n, Gottes
Wille ist geschehen,
Gott wollt’ Dich unter Engeln seh’n; Unser Trost ist, Wiedersehen.
Uns bleibt der Trost: Wiederseh’n!
Weinet nicht an meinem
Grabe, Weinet nicht an meinem
Grabe,
Stört mich nicht in
meiner Ruh; Stört mich nicht
in meiner Ruh.
Denkt, was ich gelitten habe,
Gönnt mir nun die ew’ge Ruh’!
Was sich im Leben
geschieden Was sich im
Leben geschieden,
Und
sich im Grabe gefunden, Hat sich im Grabe gefunden.
Wir ruhen selig heute
In ewiger Himmelsfreude.
Kreativer Umgang mit dem vorhandenen Material. (Die Aktualisierung der Vorlage bezüglich des Verstorbenen bzw. der Hinterbliebenen, oft: Wechsel der Perspektive):
Liebe Eltern, tröstet
Euch, Ihr lieben
Eltern tröstet Euch
Ich bin
jetzt im Himmelreich Wir sind vereint im
Himmelreich.
Leb’ wohl, Du liebe Tochter, Leb’ wohl, Du liebe Schwester,
Leb’ wohl für alle Zeit!
Leb’ wohl für
alle Zeit!
Wenn wir uns
wiederfinden, Wenn wir
uns wiederfinden,
So ist es in Ewigkeit. So ist es in
Ewigkeit.
Unser Liebling ist geschieden,
Weinend wir am Grabe
steh’n.
Ruhe hier in Gottes
Frieden,
Bis wir uns einst
wiederseh’n!
Uns‘re Mutter ist geschieden, Unser Vater ist geschieden,
Weinend wir am Grabe
steh’n. Weinend wir am Grabe
steh’n.
Ruhe hier in Gottes
Frieden, Ruhe hier in
Gottes Frieden,
Bis wir uns einst
wiederseh’n! Bis wir uns
einst wiederseh’n!
Die Eltern zeigten dir den Weg, Die Mutter zeigte dir den Weg,
Den Du jetzt auch
gegangen; Den Du jetzt
auch gegangen;
Sie wohnen längst im
Vaterhaus Sie wohnet längst im
Vaterhaus
Und werden dich
empfangen. Und wird dich
dort empfangen.
(
Die liebe Gattin lebt nicht mehr,
Ach unsre Mutter ist nicht
mehr,
Ihr Platz in meinem Heim ist Der Platz in
unser’m Kreis ist
leer; leer;
Sie reicht mir nicht mehr ihre Erreicht uns nicht mehr ihre
Hand, Hand,
Der Tod zerriß das
schöne Band. Der Tod zerriß das
schöne Band.
Verse, wo wahrscheinlich die Zeilen zweier Gedichte vermischt wurden (deshalb sind sie inhaltlich nicht ganz verständlich):
Meine Lieben, gute Nacht
Habet Dank für Eure
Treue,
Jesus kommt und macht
mich frei.
Richtig würde das Gedichtlein laut des Buchs so lauten:
Meine Lieben, gute
Nacht!
Gott hat’s mit mir
wohlgemacht.
Auch der fehlende Reim und die fehlende Kohäsion deuten darauf hin, dass der Vers aus mehreren Versen zusammengesetzt wurde. In der Originalfassung auf dem Grabstein ist nur die erste Zeile zu finden, aber die anderen zwei Zeilen sind ebenfalls dichterisch geprägt. Vermutlich stammen sie auch aus irgendeiner Vorlage.
Bis wir wieder uns
vereinen,
Wird mein blutend Herzen klagen.
Und ich ewig muß
beweinen,
Haben sie zu Grab
getragen.
Durch einen herben
Unglücksfall
Hat früh dir den Tod
gebracht.
Und uns den größten
Schmerz beschrieben,
Ruhe sanft in ewigem
Frieden.
Dieser Vers wurde auch kopiert, aber darin wurden einige Wörter schlecht abgeschrieben, wodurch dem Vers noch weniger Sinn verliehen wird.
Durch einen herben
Unglücksfall
Hat frühe dir den Tod
gebracht.
Und uns den größten
Schmerz beschieden,
Ruhe sanft in ewigem Frieden.
Geschlechtstypischer Austausch (in Abhängigkeit davon, ob der Vers einem Mann oder einer Frau gewidmet wird):
Milder Jesu schenke du Milder Jesu schenke du
Ihrer
Seele ewige Ruh’. Seiner Seele die ewige Ruh’.
Tun und Arbeit war ihr Leben, Tun und Arbeit war sein
Leben,
Ruhe hat ihm Gott
gegeben. Ruhe hat ihm
Gott gegeben.
Wenn man die Verse im Buch und das primäre Korpus vergleicht, kann festgestellt werden, dass im Korpus etwas weniger Synkopen und Apokopen vorkommen als in der Grabinschriftensammlung.
Eine Synkope ist der Ausfall eines unbetonten Vokals zwischen zwei Konsonanten im Wortinnern, die die Metrik verkürzt. Z.B.: „ew’ger“, „Sel’gen“, „uns’re“, „steh’n“, „Wiederseh’n“, „vergeh’n“, „sah’n“, „verblüh’n“, „erzieh’n“, „ruh’n“. Die Apokope ist dagegen der Abfall eines Auslauts oder einer auslautenden Silbe, wodurch die Metrik verlängert wird, z.B.: „werd’“, „leb’“, „tröst’“.
Der Grund dieser Hyperkorrektion ist wahrscheinlich der höhere Prestigewert der vollständig geschriebenen Wörter. Von der Funktion aus gesehen sind sie auch etwas feierlicher als die Synkopen und Apokopen, so dass sie von der Bestrebung der Familienmitglieder nach einer nicht so sehr allgemein gebräuchlichen Form zeugt.
Unter den Grabinschriften kann man verschiedene charakteristische sprachliche Erscheinungen, Archaismen beobachten. Zunächst möchte ich diese nennen und dann die typischen Fehler aufzählen.
Das Genitivattribut steht nicht nach dem Bezugswort, sondern vor ihm. Z.B.: „Genieße nun des Himmels Freuden”, „Warst Du der Eltern Freude”.
Das Possessivpronomen in attributiver Verwendung wird meistens in Ausrufen dem Substaniv nachgeordnet: „Wir denken Dein”, „liebe Eltern mein“. Diese Erscheinung schliesst eine bestimmte Altertümelei mit in sich, wirkt etwas poetisch und dadurch lebensfremd.
Die Verben in dritter Person Singular werden mit einem prothetischen ’e’ verlängert. So schreibt man statt ruht „ruhet“, oder statt wohnt „wohnet“. Das kommt auch in der Imperativform im Singular vor, so liest man statt weinen „weinet“, statt vergißt „vergesset“. Beim Verb wollen steht im Imperativ statt wolltest „willest”. Durch das prothetische ‚e‘ wird wiederum eine dichterisch und archaisch wirkende Form erreicht, die gleichzeitig auch zur Verlängerung der Metrik sowie zur Erhöhung der Silbenzahl beiträgt.
Mit der Verdoppelung (die Person wird genannt und nach ihm steht sofort das Personalpronomen) wird die Person besser hervorgehoben: „Gott, er nahm sie beide”.
Obwohl die Steinmetzen anscheinend als Vorlage ein Buch benutzen konnten, weisen die Grabinschriften viele orthographische Fehler auf.
Bei den Grabinschriften wurde Standarddeutsch angestrebt. Da aber die Steinmetzen dessen nicht besonders mächtig waren, kam es zu Fehlern. Dazu hat höchstwahrscheinlich die mundartliche Aussprache, sowie das Fehlen der hochdeutschen Kenntnisse beigetragen, wodurch es zu Unsicherheiten in der Schriftsprache, v.a. in der Orthographie kam.
Probleme bedeuteten unter anderem die Geminate. Die gesprochene deutsche Sprache kennt eigentlich keine Doppelkonsonanz, in der Schriftsprache werden sie zur Kennzeichnung der Kürze des vorangehenden Vokals verwendet. Statt ’kommen’ stand ’komen’ oder statt ‚Himmelreich‘ ‚himelreich‘, weil der ’m’ in der Aussprache nicht doppelt erschien. Ebenso war es bei den langen Vokalen, so schrieb man statt ’geblieben’ nur ’gebliben’ oder statt ‚Friede‘ nur ‚Fride‘. Auch in der Markierung des Dehnungs-h in der Schriftsprache waren sie nicht bewandert. Statt ’früh’ meißelten sie in die Steine einfach nur ’frü’ ein oder statt ’Jahr’ nur ’jar’. Das ’t’ hat man dagegen oft mit ’th’ geschrieben, z.B.: ’Muth’, ’thut’. Das kann auch darauf zurückgeführt werden, dass die Orthographie erst 1901 normiert wurde und viele Grabinschriften sind noch vor dieser Zeit entstanden. Auch auf die Substantivgroßschreibung wird nicht immer geachtet, z.B.: „Im Leben Wert und Teuer.” , „himelreich“. Auf ein einziges Grabmal war statt ’sch’ nur ein ’s’ („Swägerin”) geschrieben, was vom Einfluß des Ungarischen zeugt.
Außer den orthographischen Fehlern trifft man bei den Sätzen, die frei formuliert werden mussten (meist die Auflistung der Verwandten oder Hinterbliebenen) auf ein charakteristisches Merkmal vieler Mundarten. Das ist nämlich ihre von der Standardsprache abweichende Morphologie. In der Mundart wird zwischen Akkusativ und Dativ nicht unterschieden, es gibt den sg. Akkudativ. Das bedeutet soviel, dass Akkusativ und Dativ zusammenfallen zugunsten des Akkusativs. So wurde die Endung auf –n nicht oder nicht richtig verwendet, deshalb sind z.B.: folgende Zeilen zu lesen: „von seine[!] Kinder[!], Schwiegersöhne[!]”, „von ihre[!] Eltern, Kind, Geschwistern und Swägerin”, „von ihre[!] Kindern u. Enkelkinder[!]”.
Weitere Fehler ergeben sich wahrscheinlich aus Verschreibung. So steht auf einem Grabstein statt ’Tun’ nur „Tu”. Es gibt auch Beispiele dafür, dass die Grabinschriften auf dem Grabstein nicht richtig gelesen werden konnten und so in den anderen Grabstein falsch eingemeißelt wurden. Dadurch können die Inschriften nicht immer verstanden werden. Zur fehlenden Kohärenz konnte auch führen, wenn die Grabinschrift aus verschiedenen Vorlagen zusammengesetzt wurde.
Die Verse bestehen entweder aus zwei oder aus vier Zeilen und meistens weisen sie einen Reim auf. Diese Reime sind entweder Paarreime (aabb) oder Kreuzreime (abab).
Mein junges Leben war
ein Traum,
Ich lebte ja dreizehn
Jahre kaum.
Da zog der Tod mich in
das Grab,
Was Gott mir schon so
früh gab.
Unheilbar ist die Wunde,
Die dein früher Tod uns
schlug.
Unvergeßlich ist die
Wunde
Als man dich zum Grabe
trug
Selten bestehen die Gedichte aus 5 Zeilen. Bei einem solchen Gedicht ist folgende Reimformel festzustellen: abbcc.
Liebe Mutter und
Geschwister
Ohne Abschied ohne Worte
Ging ich ruh‘n zur
Himmelspforte
Got troste euch in eurem
Leid
Wir sehen uns wieder in
der Ewigkeit.
Zusammenfassend lässt sich behaupten, dass die Grabinschriften sowohl in formaler, sprachlicher als auch in inhaltlicher Hinsicht eine Vielfalt aufweisen und von einem kreativen Gebrauch zeugen.